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Warum?

Warum diese Homepage Sterberecht?


Meine Mutter lebte in einer hessischen Großstadt und redete immer wieder davon, dass sie keine 80 Jahre alt werden würde. Sie hatte genug vom Leben und wollte sterben. Als 2000 ihr 80. Geburtstag vor der Tür stand, meinte sie, sie wolle Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung haben, das mache man ja jetzt so. Sie hatte bei einer Veranstaltung der Sozialbehörde eine Broschüre mit Text­bausteinen erworben und ich sollte ihr bei der Formulierung helfen.

Zu dieser Zeit erlitt meine Schwiegermutter die fünfte Blutung im Gehirn, nach der sie überhaupt nicht mehr sprechen konnte und weitgehend bewegungs­unfähig dauerhaft ans Bett gebunden war. Meine Schwiegermutter hatte für diese Situation keinerlei Vorsorgemaßnahmen getroffen, sie hatte weder eine Patientenverfügung noch eine Vorsorgevollmacht bzw. Betreuungsverfügung erstellt.

Ich begann im Internet zu recherchieren und stieß auf viel Empörung über die geplante Gesetzgebung zur Sterbehilfe in den Niederlanden. Die moralische Überlegenheit in diesen Stellungnahmen befremdete mich und ich stellte mir die Frage, was ich für mich will. Mir fielen Professor Hackethal und die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben ein, die sich nicht mit dem Verbot der Sterbehilfe in Deutschland zufrieden gaben. Meine Mutter war an Krebs erkrankt, als ich 7 Jahre alt war, und mein Vater starb an einem Tumorleiden, da war ich 37. Als Krankengymnastin habe ich den medizinischen Alltag in mehreren Kliniken kennengelernt und auch einige Patienten bis zu ihrem Tod begleitet. Ich kenne das Leiden, das mit Krankheit und Sterben einhergehen kann und daher ist für mich klar, wenn ich an dem mir noch verbleibenden Leben nur noch leide, will ich sterben und meinem Leben ein selbstbestimmtes Ende setzen können.

Als die Gesetze zur Sterbehilfe in den Niederlanden und Belgien verabschiedet wurden, scheuten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN die öffentliche Debatte. Stellungnahmen zur Sterbehilfe überließen sie ihrer kirchenpolitischen Sprecherin, Christa Nickels, die sich für einen umfassenden Lebensschutz einsetzte. Man wolle sich nicht mit den GRÜNEN Behindertenverbänden anlegen, hieß es vor Ort. Die Überzeugung, dass das Recht auf Leben nur mit dem Verbot von Selbstbestimmung am Lebensende abgesichert werden könne, wollte mir nicht einleuchten, aber mir fehlten zunächst die Argumente.

Die evangelische Kirche in Bremen trug ihren Streit um die Sterbehilfe öffentlich aus und auch die SPD hatte Interesse am Thema und lud zu verschiedenen Diskussionsveranstaltungen. In anderen Großstädten nahm ich an weiteren Veranstaltungen mit Experten teil und recherchierte immer wieder im Internet. Meine Sammlung von Internetadressen wurde immer größer und ich dachte mir, warum soll ich das nicht anderen Leuten zur Verfügung stellen. Sicherlich gibt es noch mehr Leute, die nach Informationen aus erster Hand suchen. Pfade im Internet, ein paar Seiten mit meinem Textverarbeitungsprogramm und fertig.

Als die Gesetzgebung zur Patientenverfügung durch das vorzeitige Ende der rot-grünen Regierung 2005 nicht zum erwarteten Ende kam und die Diskussion um das Für und Wider von Patientenverfügungen immer wieder hochkochte, bemühte ich mich, mehr über die rechtlichen Regelungen in anderen europäischen Ländern und Nordamerika herauszufinden. Ich entdeckte die Gesetzgebung der Autonomen Provinzen in Spanien und den Bundesstaaten der USA, das Gesetz zu den Patientenrechten in Finnland u.a.

Leben in verschiedenen Ländern ist heutzutage normal und Familien verstreuen sich über Europa und in alle Welt. Wenn dann Sterbebegleitung funktionieren soll, müssen sich Familienmitglieder in angemessener Zeit über vorhandene Normen in dem jeweiligen Land informieren können, was in der Bundesrepublik bis zum Inkrafttreten des Patientenverfügungsgesetzes 2009 nur bedingt möglich war.

Meine Mutter starb 2005 in einem Pflegeheim. Ein halbes Jahr vor ihrem Tod veränderte sich ihr Bewusstsein, aber sie konnte noch erklären, dass jetzt ihr Sterben begonnen habe und ihre Patientenverfügung uneingeschränkt gültig sein solle. Sie war gläubig genug, um diese Monate des endgültigen körperlichen Zerfalls geduldig zu ertragen. Die Lebensmüdigkeit der vergangenen Jahre hatte sie hinter sich gelassen, sie freute sich jetzt auf ihr Leben nach dem Tod ihres Körpers.

Regine Bernstein-Bothe, April 2013

 

 

 

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