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Antwort des Bundesministeriums der Justiz
auf meine Anfrage zur Sterbehilfe

 

Berlin, den 16. Juli 2002

 

Betr.:   Sterbehilfe;
hier:    Rechtliche Situation bei schweren, aber nicht zum Tod führenden Erkrankungen


Sehr geehrte Frau Bernstein-Bothe,

vielen Dank für Ihr E-Mail-Schreiben vom 20. Juni 2002 an Frau Bundesministerin der Justiz Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, in dem Sie sich mit Fragen der Sterbehilfe auseinandersetzen. Wie Ihnen bereits mit hiesigem Schreiben vom 15. April 2002 mitgeteilt wurde, liegt Frau Prof. Dr. Däubler-Gmelin die Problematik des selbstbestimmten Sterbens sehr am Herzen. Es ist ihr ein großes Anliegen, auch zu diesem Thema in einen Dialog mit der Bevölkerung zu treten. Sie hat mich daher gebeten, Ihr Schreiben zu beantworten, was ich gerne tue.

Sie beschreiben in Ihrer E-Mail den Leidensweg einer Patientin, die auf Grund von Gehirnblutungen und damit verbundenen Folgeerkrankungen nunmehr annähernd bewegungs- und kommunikationsunfähig intensiver ärztlicher Hilfe bedarf. Ich kann gut verstehen, dass dies für Sie sehr bedrückend ist. Auch kann ich Ihren Wunsch nachvollziehen, der Patientin helfen zu wollen. Mir erscheint aber Ihre Schlussfolgerung, eine rechtliche Regelung der aktiven Sterbehilfe im Allgemeinen und für diese Patientin im Besonderen zu fordern, überdenkenswert.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das deutsche Recht eine Lebensverlängerung um jeden Preis nicht verlangt. Über die Einzelheiten möchte ich Sie gerne mit der anliegenden Ubersicht über die deutsche Rechtslage und die hierzu vorliegenden höchstrichterlichen Entscheidungen informieren. Sie werden diesen Informationen entnehmen können, dass die Rechtsprechung ganz wesentlich dazu beigetragen hat, die allgemeinen Bestimmungen der Gesetze gerade auf dem Gebiet des Helfens beim Sterben zu konkretisieren und das Spannungsverhältnis zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen und dem Schutz des Lebens in der letzten Lebensphase aufzulösen. Sie werden aber auch deutlich die strafrechtlichen Grenzen des Umgangs mit Schwerstkranken erkennen können. So ist die bloße Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung straflos, die aktive Sterbehilfe jedoch strafbar.

Die aktive Sterbehilfe wird deshalb abgelehnt, weil sie gerade nicht zu der erstrebten Stärkung des Selbstbestimmungsrechts führen würde, sondern die Gefahr hervorruft, dass die Schwachen und Alten, die sich selbst überflüssig fühlen, Schutz verlieren. Nur die Unverfügbarkeit und Unantastbarkeit des menschlichen Lebens entbindet jeden Menschen davon, sich für seine (Fort-) Existenz, für seine Behinderung oder Hilfsbedürftigkeit rechtfertigen zu müssen. Allein die rechtliche Unmöglichkeit, die eigene Tötung zu verlangen, entlastet den Kranken von der Verantwortung für die entstehenden Kosten und Lasten.

Eine passive oder indirekte Sterbehilfe ist - wie Sie den anliegenden Unterlagen entnehmen können - jedoch straflos, soweit die hierfür in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfüllt sind. Wie in allen Lebensbereichen ist in diesem Zusammenhang das Hauptkriterium des Umganges mit kranken und sterbenden Menschen das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen. Daraus ergibt sich, dass Ärztinnen und Ärzte keinen Patienten gegen dessen Willen behandeln dürfen. Auch die Ausschöpfung intensivmedizinischer Technologie ist rechtswidrig, wenn sie dem wirklichen oder anzunehmenden Patientenwillen widersprechen. Auf der anderen Seite besteht eine Verpflichtung, alles menschlich Mögliche zu Erhaltung des Lebens zu veranlassen, wenn der Patient dies wünscht.

Sie können der anliegenden Übersicht weiter entnehmen, dass der BGH auch entschieden hat, dass ausnahmsweise bei einem unheilbar erkrankten, nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten der Abbruch einer ärztlichen Behandlung auch dann zulässig sein kann, wenn der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat, aber von der mutmaßlichen Einwilligung des Kranken auszugehen ist. An die Annahme des mutmaßlichen Willens sind dann aber erhöhte Anforderungen zu stellen, denn - und diesen wichtigen Satz möchte ich auch hier nochmals zitieren - ,,der Gefahr, dass Arzt, Angehörige oder Betreuer unabhängig vom Willen des entscheidungsunfähigen Kranken, nach eigenen Maßstäben und Vorstellungen das von ihnen als sinnlos, lebensunwert oder unnütz angesehene Dasein des Patienten beenden, muss von vornherein entgegengewirkt werden".

Die Bundesministerin der Justiz weiß nicht zuletzt aus ihrem Engagement in der Hospizbewegung, dass es sehr häufig die Angst vor den Schmerzen und die Angst vor einem würdelosen und einsamen Sterben ist, die Schwerstkranke nach aktiver Sterbehilfe fragen lässt. Frau Prof. Dr. Däubler-Gmelin tritt daher für eine Verbesserung der Schmerzmedizin und der Betreuung Schwerstkranker und Sterbender ein. Mit dieser Überzeugung steht sie auch nicht alleine da. Der ganz überwiegende Teil der Ärzteschaft sieht sich nach wie vor an den Hippokratischen Eid gebunden, der eine Verpflichtung zum Heilen und nicht zum Töten vorsieht. Nach den hier vorliegenden Umfrageergebnissen entspricht dies auch der Meinung der Mehrheit der Bevölkerung, die den Einsatz der Palliativmedizin und der Hospizarbeit den Vorrang vor der aktiven Sterbehilfe einräumt.

Letztlich vermag ich ihre Vorbehalte gegen die aus meiner Sicht sehr sinnvollen Möglichkeiten der Patientenverfügung und der Vorsorgevollmacht nicht zu teilen. Die gesetzlich nicht ausdrücklich geregelte Patientenverfügung hat sich in der Praxis bereits vielfach als geeignetes Mittel erwiesen, um die Patientenautonomie auch am Lebensende zu sichern. An eine hinreichend konkrete Verfügung sind die zur Entscheidung zuständigen Personen gebunden, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte für einen möglichen Willenswandel bestehen. Dies gilt auch für den Abbruch lebenserhaltener Maßnahmen außerhalb eines unaufhaltsamen Sterbeprozesses. Für den Fall, dass sich die Patientenverfügung als auslegungsbedürftig erweisen sollte, ist es sinnvoll zugleich einer Vertrauensperson eine Vorsorgevollmacht zu erteilen. Auch in den von Ihnen geschilderten Situationen bietet das geltende Recht damit hinreichende Möglichkeiten, das Selbstbestimmungsrecht (sterbender) Patienten zu sichern.

Abschließend möchte ich mich bedanken, dass Sie den Belangen kranker und sterbender Menschen soviel Raum geben, und Sie ermuntern, auch weiterhin Hilfe zu leisten.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Dr. Böhm




Die Rechtslage in Deutschland zur Sterbehilfe



I   
     Die aktive Sterbehilfe und Mitwirkung am Suizid

1.      Die Selbsttötung ist nach deutschem Recht straflos. Deshalb wird auch derjenige nicht bestraft, der zu einem freiverantwortlichen Suizid anstiftet oder Beihilfe leistet.

2.      Strafbar macht sich hingegen, wer täterschaftlich, also in der Eigenschaft als Täter, an der Tötung eines Sterbewilligen mitwirkt. Folgende Konstellationen kommen in Betracht:

a)      Bittet der Kranke ausdrücklich und ernstlich um seine Tötung, so wird derjenige, der sich davon bestimmen lässt, einen anderen zu töten, wegen Tötung auf Verlangen bestraft (§ 216 StGB: Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren). Fehlt es an einem ausdrücklichen und ernsthaften Verlangen des Getöteten, kommt eine Strafbarkeit wegen Totschlags in Betracht (§§ 212, 213 StGB). Diese Fälle der sogenannten aktiven Sterbehilfe sind also stets strafbar.

Sehr prägnant hat das der Bundesgerichtshof in einem Urteil aus dem Jahr 1991 (BGHSt 37, 376) ausgedrückt: Sterbehilfe darf auch bei aussichtsloser Prognose nicht durch gezieltes Töten geleistet werden.

b)      Hat sich ein Kranker, der - z.B. wegen hirnorganischer Schäden oder psychiatrischer Befunde - den Entschluss zum Freitod nicht freiverantwortlich fassen konnte, selbst getötet, kann schon das bloße Geschehenlassen des Suizids strafbar sein: derjenige, der Garantenpflichten für das Leben des Suizidenten hat (wie der behandelnde Arzt oder nahe Angehörige) kann sich der Tötung durch Unterlassen strafbar machen

(§§ 212, 213 StGB); wer nicht Garant ist, kann wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) belangt werden.

c)      Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht aber auch bei einem freiverantwortlichen Selbsttötungsversuch von dem Zeitpunkt an, wo der Selbstmörder handlungsunfähig wird, für einen Garantenpflichtigen die Pflicht, ihn zu retten. Ein Arzt muss also grds. eingreifen, wenn er seinen Patienten, der eine Überdosis Schlafmittel eingenommen hat, bewusstlos auffindet und noch eine Möglichkeit zur Rettung seines Lebens besteht.

Schon in einer Entscheidung im Jahr 1952 (BGBSt 2, 150) hat der BGH eine grundsätzliche Rettungspflicht des Garanten beim Selbsttötungsversuch bejaht und 2 Jahre später (BGHSt 6,147) den Suizidversuch als einen jedermann grundsätzlich zur Hilfeleistung verpflichtenden Unglücksfall eingeordnet.

Spätere Entscheidung schränken etwas ein: Für eine Strafbarkeit des Garanten sei erforderlich, dass er das Suizidgeschehen beherrsche bei der allgemeinen Hilfeleistungspflicht müsse geprüft werden, ob die Hilfeleistung tatsächlich zumutbar sei (BGHSt 13, 162; NJW 60,1821 f.).

Mit den Pflichten gerade des Arztes gegenüber bewusstlosen Suizidpatienten beschäftigte sich der BGH (3. Strafsenat) erstmals in seiner grundlegenden Entscheidung vom 4. Juli 1984 (BGHSt 32, 367): Ein Hausarzt hatte eine 76jährige Patientin, die er mit einer Überdosis von Schlafmitteln bewusstlos vorgefunden hatte, nicht in das Krankenhaus gebracht, obwohl er eine Rettung - allerdings mit schweren Dauerschäden, für nicht ganz ausgeschlossen hielt.

Der BGH betonte seine bisherige Rechtsprechung, dass derjenige, der einen Bewusstlosen in einer lebensbedrohenden Lage antrifft und ihm die erforderliche und zumutbare Hilfe zur Lebensrettung nicht leistet, obwohl ihn Garantenpflichten für das Leben des Verunglückten treffen, sich wegen eines Tötungsdeliktes durch Unterlassen strafbar macht, auch wenn der Patient seinen Zustand absichtlich herbeigeführt hat. Wegen der besonderen Umstände des Falles hat er dann jedoch einen Schuldspruch wegen versuchter Tötung auf Verlangen verneint. Die suizidale Situation habe den Arzt in einen Konflikt zwischen dem ärztlichen Auftrag, jede Chance zur Rettung des Lebens seiner Patientin zu nutzen, und dem Gebot, ihr Selbstbestimmungsrecht zu achten, gebracht. Die Beachtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten sei ein wesentlicher Teil des ärztlichen Aufgabenbereichs. Allerdings dürfe sich der behandelnde Arzt jedenfalls dann, wenn der ohne ärztlichen Eingriff dem sicheren Tod preisgegebene Suizident schon bewusstlos sei, nicht allein nach dessen vor Antritt der Bewusstlosigkeit erklärten Willen richten, sondern habe in eigener Verantwortung eine Entscheidung für Rettungsmaßnahmen zu treffen.

Dabei dürfe der Arzt berücksichtigen, dass es keine Rechtsverpflichtung zur Erhaltung eines erlöschenden Lebens um jeden Preis gebe. Er fährt fort: ,,Maßnahmen zur Lebensverlängerung sind nicht schon deshalb unerlässlich, weil sie technisch möglich sind. Angesichts des bisherige Grenzen überschreitenden Fortschritts medizinischer Technologie bestimmt nicht die Effizienz der Apparatur, sondern die an der Achtung des Lebens und der Menschenwürde ausgerichtete Einzelfallentscheidung die Grenze ärztlicher Behandlungspflicht." Wenn der Arzt in dieser konkreten Grenzsituation den Konflikt zwischen der Verpflichtung zum Lebensschutz und der Achtung des Selbstbestimmungsrechts der nach seiner Vorstellung bereits schwer und irreversibel geschädigten Patientin dadurch zu lösen gesucht habe, dass er nicht den bequemeren Weg der Einweisung in eine lntensivstation gewählt, sondern in Respekt vor der Persönlichkeit der Sterbenden bis zum endgültigen Eintritt des Todes bei ihr ausgeharrt habe, so könne seine ärztliche Wissensentscheidung nicht von Rechts wegen als unvertretbar angesehen werden. Auch die Zumutbarkeit eines Rettungsversuchs im Sinne des § 323c StGB hat das Gericht verneint.

In neueren Entscheidungen allerdings misst der BGH dem ernsthaft freiverantwortlich gefassten Selbsttötungsbeschluss eine größere Bedeutung zu:

NStZ 1987, 406: Es müsse geprüft werden, ob nach den Umständen davon auszugehen war, dass ein noch in freier Selbstbestimmung getroffener Entschluss der Patientin, sich nicht behandeln zu lassen, auch für die veränderten Verhältnisse nach Ausschluss voller Fähigkeit zu freier Selbstbestimmung gelten sollte und damit zu respektieren war.

NJW 1988, 1532: In dieser Entscheidung aus dem Jahr 1987 weist der 2. Senat des BGH darauf hin, dass er dazu neige, einem ernsthaften, freiverantwortlich gefassten Selbsttötungsentschluss eine stärkere rechtliche Bedeutung beizumessen, als es der 3. Strafsenat in BGHSt 32, 367 getan habe.

In seiner neuesten Entscheidung (5 StR 474/00, dokumentiert in JURIS) betont der BGH noch einmal, dass die Rechtsordnung eine Selbsttötung als rechtswidrig werte und die Mitwirkung eines anderen am Freitod eines Menschen grundsätzlich missbillige, auch wenn dahingestellt bleiben könne, ob Besonderheiten namentlich etwa für das Handeln naher Angehöriger eines Sterbewilligen gelten könnten. Es sieht in dem Handeln eines sog. ,,Sterbebegleiters", der der Verstorbenen aus dem Ausland ein vom BtMG umfasstes Betäubungsmittel besorgt und ausgehändigt hatte, zwar nur eine straflose Beihilfe zum Suizid, hält ihn aber wegen des Umgangs mit Betäubungsmitteln für strafbar. Allerdings reduziert der BGH die Strafe von einer Geldstrafe auf eine Verwarnung mit Strafvorbehalt gem. § 59 StGB wegen des humanen Engagements.



II   
    Die passive und die indirekte Sterbehilfe

Von der strafbaren aktiven Sterbehilfe zu unterscheiden ist die straflose sog. passive Sterbehilfe. Darunter versteht man die Nichteinleitung oder den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen wie bspw. Beatmung, Bluttransfusion oder künstliche Ernährung. Sie ist zulässig, ,,um dem Sterben - ggf. unter wirksamer Schmerzmedikation - seinen natürlichen, der Würde des Menschen gemäßen Verlauf zu lassen" (BGHSt 37, 376 [379]). Der Arzt ist nicht verpflichtet, unter Einsatz moderner lntensivmedizin verlöschendes Leben um jeden Preis und unter Umständen qualvoll zu verlängern. Die Ausschöpfung intensivmedizinischer Technologie ist sogar rechtswidrig, wenn sie dem wirklichen oder anzunehmenden Patientenwillen widerspricht (BGH, aaO, S. 378).


Die passive Sterbehilfe setzt voraus, dass das Grundleiden eines Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar ist, einen tödlichen Verlauf angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird. Sie muss dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten entsprechen.


Ausnahmsweise kann bei einem unheilbar erkrankten, nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten der Abbruch einer ärztlichen Behandlung auch dann zulässig sein, wenn der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat, aber von der mutmaßlichen Einwilligung des Kranken auszugehen ist. Denn auch in dieser Situation ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten. An die Annahme des mutmaßlichen Willens sind dann aber erhöhte Anforderungen zu stellen, denn: ,,Der Gefahr, dass Arzt, Angehörige oder Betreuer unabhängig vom Willen des entscheidungsunfähigen Kranken, nach eigenen Maßstäben und Vorstellungen das von ihnen als sinnlos, lebensunwert oder unnütz angesehene Dasein des Patienten beenden, muss von Vornherein entgegengewirkt werden‘ (BGHSt 40, 257 [260 f.]).


Entscheidend ist der mutmaßliche Wille des Patienten im Zeitpunkt des Behandlungsabbruchs.
Hierbei sind frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen ebenso zu berücksichtigen wie seine religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen. Im Einzelfall wird die Entscheidung naturgemäß auch davon abhängen, wie aussichtslos die ärztliche Prognose und wie nahe der Patient dem Tode ist: Je weniger die Wiederherstellung eines nach allgemeinen Vorstellungen menschenwürdigen Lebens zu erwarten ist und je kürzer der Tod bevorsteht, um so eher wird ein Behandlungsabbruch vertretbar erscheinen (BGH, aaO, S. 263).


Der BGH hat auch ausdrücklich anerkannt, dass ein Arzt einem Kranken in der letzten Phase seines Lebens schmerzstillende Medikamente selbst dann verabreichen darf, wenn diese als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen (sog. indirekte Sterbehilfe). ,,Denn die Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen ... ist ein höherwertiges Rechtsgut als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen" (BGHSt 42, 301 [305]).



III   
   Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und die sogenannten Patientenverfügungen

Aus der durch das Grundgesetz geschützten Würde des Menschen und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 GG) sowie dem Schutz der Freiheit der Person und ihrer körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 GG) fließt das Selbstbestimmungsrecht jedes, auch des sterbenden Patienten. Ärztliche Eingriffe sind deshalb nur zulässig, wenn der Betroffene einwilligt. Dieses Selbstbestimmungsrecht ist auch dann zu beachten, wenn der Patient nicht mehr einwilligungsfähig ist und deshalb die Einwilligung nicht mehr wirksam erteilen kann. Es ist dann auf seinen mutmaßlichen Willen abzustellen. Dabei sind insbesondere schriftliche Patientenverfügungen zu berücksichtigen, die der Patient in einer Zeit getroffen hat, als er noch entscheidungsfähig war. Eine solche Verfügung ist jedoch nur ein - allerdings wesentlicher - Anhaltspunkt für den mutmaßlichen Willen des Patienten. Es muss in Zweifelsfällen überprüft werden, ob der Patient hinreichend ärztlich aufgeklärt war, eine Verfügung für die konkrete spätere Situation treffen wollte und diese Verfügung auch weiterhin gelten sollte.


Noch nicht abschließend geklärt in der Rechtsprechung ist die Frage, ob bei einem nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten, für den ein Betreuer bestellt worden ist, der Betreuer beim Amtsgericht eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zum Abbruch der Behandlung gem. § 1904 BGB analog beantragen kann (so OLG Frankfurt, NJW 1998, 2747; LG Duisburg, NJW 1999, 2744) oder ob ein derartiger Antrag nicht genehmigungsfähig ist und damit - mangels Genehmigungsfähigkeit - Ärzte und Angehörige über lebensbeendende Maßnahmen in eigener Verantwortung zu entscheiden haben (so LG München 1, NJW 1999, 1788; AG Hanau, BtPrax 1997, 82).


Der BGH hat in der oben erwähnten strafrechtlichen Entscheidung aus dem Jahr 1994 (BGHSt 40, 257) eine analoge Anwendung des § 1904 BGB bejaht, ohne dass dies allerdings entscheidungserheblich gewesen wäre.

 

 

 

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September 2007 - http://sterberecht.homepage.t-online.de - Letzte Aktualisierung: 22.10.07